Rückblick „Innovationshemmnisse in der Medizin“
Im Rahmen der Tübinger Innovationstage fand am 11. Juli 2023 im Schloss Hohentübingen eine Diskussionsrunde zu den Innovationshemmnissen in der Medizin statt - hier die wichtigsten Infos im Rückblick.
Im Rahmen der Tübinger Innovationstage fand am 11. Juli 2023 im Schloss Hohentübingen eine Diskussionsrunde zu den Innovationshemmnissen in der Medizin statt - hier die wichtigsten Infos im Rückblick:
Nach einer Eröffnung der Veranstaltung durch Frau Krattenmacher von der IHK Reutlingen sprach Professor Dr. Stefan Laufer, Leiter des Pharmazeutischen Institutes der Eberhard Karls Universität Tübingen, über die Innovationshemmnisse bei der Entwicklung von Arzneimitteln. Zunächst stellte er dar, dass sich „Big Pharma“ in den vergangenen 15 Jahren weitestgehend aus der Grundlagenforschung zur Suche neuer Arzneimittelkandidaten zurückgezogen hat und dies nun weitestgehend aus dem universitären Bereich geleistet werden muss. Da Pharma-Forschung kostenaufwändig sei, müsse man hierbei sehr schnell auf die Punkte zusteuern, an denen ein Wirkstoffkandidat scheitern kann. Als Hemmnis wies er darauf hin, dass allein die Rechtsauffassungen der verschiedenen Universitätsklinika in Deutschland sehr unterschiedlich seien und keine einheitlichen Vertragsmuster vorlägen. Lobende Worte fand Laufer für die amerikanische FDA: Dort versuche man den Herstellern die Entwicklung neuer Arzneimittel zu erleichtern und ihnen im Hinblick auf das bürokratische Verfahren, Hilfestellungen zu geben. Auch aus dem Teilnehmerkreis kam die Forderung, dass sich deutsche und europäische Behörden und Benannte Stellen die amerikanische FDA zum Vorbild nehmen sollen.
Im Anschluss daran berichtete Dr. Steffen Hüttner in seiner Funktion als Geschäftsführer der INTAVIS Peptide Services GmbH über die Schwierigkeiten, GMP-gerecht Arzneimittel herzustellen. Insbesondere, wenn es um die Herstellung von Prüfprodukten bzw. Produkten in sehr kleiner Menge geht, werden die gleichen Anforderungen gestellt, als würden Großunternehmen Produkte im industriellen Maßstab herstellen. Dies stelle insbesondere kleinere und innovative Unternehmen vor großen Herausforderungen. Hierfür würde er sich wünschen, dass kleine Unternehmen von Seiten der Behörden mehr Hilfestellungen erhalten, um nicht zu viele Fehlversuche machen zu müssen, um den Anforderungen der Behörden zu genügen. Aufgrund der Vielzahl der rechtlichen Vorgaben, die sich in den verschiedenen Verordnungen, Richtlinien, Gesetzen und untergesetzlichen Regelungen finden, sei es sehr schwierig, herauszufiltern, was nun genau die Anforderungen für die eigenen Produkte sind. Hier würde er sich mehr verbindliche Auskünfte von den Behörden erhoffen, weist jedoch auch darauf hin, dass die Zusammenarbeit mit dem Regierungspräsidium Tübingen an dieser Stelle schon deutlich besser geworden ist. Auch Hüttner verwies auf die amerikanische FDA als Vorbild.
Mit der zunehmenden Dauer zwischen dem Design Freeze und dem Marktzugang befasste sich Dr. Heiko Zimmermann, Geschäftsführer des Medical Valley Hechingen e.V. Diese lange Phase bis zum Marktzugang, führt zu immensen Kosten für junge Unternehmen. Gerade dann, wenn das erste Produkt auf den Markt kommen soll, kann die Zeit zwischen Design Freeze und Marktzugang zur Durststrecke und zum Innovationshemmnis werden. Während früher der Marktzugang relativ rasch zu bewältigen war und hierdurch überschaubare Kosten entstanden, ist dies heute anders: Zimmermann zeigte an verschiedenen Beispielen auf, welche finanziellen Hürden durch das lange Zulassungsverfahren entstehen und dass diese nur noch mit Hilfe finanzkräftiger Investoren zu bewältigen seien. Das Zeitalter der „Garagenunternehmen“ sei vorbei.
Dr. Meinrad Kempf von den MedicalMountains GmbH Tuttlingen trug zu den Innovationshemmnissen im Medizinproduktebereich vor. Hier ist insbesondere die immer noch sehr geringe Anzahl der Benannten Stellen (bislang nur 39 in ganz Europa) das größte Hemmnis. In der Diskussion konnte herausgearbeitet werden, dass sicherlich auch der Brustimplantate-Skandal eine gewisse Rolle spielt, bei dem der TÜV Rheinland als Benannte Stelle selbst in die Haftung genommen wurde. In Deutschland hat der Bundesgerichtshof einen Anspruch der Patienten gegen den TÜV Rheinland für denkbar erklärt, in der konkreten Entscheidung die Sache aber an das Oberlandesgericht Nürnberg zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich der Pflichtverletzung durch die Benannte Stelle zurückverweisen. Die endgültige Entscheidung in der Sache steht also noch aus. Insofern ist davon auszugehen, dass die Benannten Stellen selbst Haftungsangst haben und daher im Zweifel die strengeren Anforderungen anlegen, als später dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, zu lax geprüft zu haben. Kempf wies auch darauf hin, dass viele kleine und mittlere Unternehmen an den steigenden bürokratischen Anforderungen scheitern bzw. das Portfolio deutlich einschränken. Hierbei wurde auf Beispiele in der Kinderchirurgie hingewiesen, wo es mittlerweile schon zu Engpässen gekommen ist. Für die Hersteller lohnt es sich für diese Produkte nicht mehr, den erheblichen regulatorischen Aufwand für kleine Stückzahlen zu betreiben. Hier bräuchte es Regelungen zu „Orphan Devices“.
Dr. Elisabeth Musch von der IHK Reutlingen und Dr. Johannes Uihlein von der Firma EPFlex Feinwerktechnik GmbH (Dettingen/Erms) berichteten über die Schwierigkeiten, die auf Medizintechnikunternehmen mit dem geplanten PFAS-Verbot einhergehen. Herr Dr. Uihlein berichtete, dass viele Produkte in der minimal-invasiven Chirurgie unter Verwendung von PFAS hergestellt werden, da sie bioverträglich sind. EPFlex stellt z.B. Führungsdrähte für die minimal-invasive Chirurgie her, die tausendfach täglich eingesetzt werden und so dazu beitragen, dass Patienten z.B. beim Austausch einer Herzklappe deutlich weniger invasiv behandelt werden können, als dies bei einer offenen Herz-OP der Fall wäre. Derzeit versucht man - auch mit Unterstützung der IHK Reutlingen - mehrgleisig vorzugehen: Zum einen wird versucht, Ausnahmeregelungen für das PFAS-Verbot für den medizinischen Einsatz und bei geschlossenen Anwenderkreisen zu erreichen. Des Weiteren sucht man nach Ersatzstoffen, die zum Einsatz kommen könnten, wenn das PFAS-Verbot bisher wie geplant greifen sollte.
Auch wenn die Veranstaltung bei sehr hohen Temperaturen stattfand, wurde rege und lebhaft diskutiert. Ziel des Institutes für Wissensmanagement und Wissenstransfer der IHK Reutlingen ist es, die von den verschiedenen Playern erkannten Innovationshemmnisse kurz und prägnant zusammenzufassen, jedoch auch Lösungsvorschläge zur Überwindung dieser Hemmnisse darzustellen. Ansprechpartner bei der IHK Reutlingen ist Dr. Stefan Engelhard.
Dr. Ulrike Brucklacher